Alli Neumann
ROQUESTAR
(neongelbe LP)
JAGA Recordings / 502173284062
colLP
Was tun die Menschen um uns herum? Wie tun sie’s? „Wollen wir das nicht alle die ganze Zeit verstehen?“, fragt Alli
Neumann, die mit ihrem dritten Studioalbum methaphorisch als funkelnder Stern auf hartem Asphalt landet. Als
„ROQUESTAR“ muss sie sich dort erstmal orientieren. Inspiriert von David Bowies Ziggy Stardust, der fürs Seltsamsein
bekannt wurde und sich was traut, auch um gesehen zu werden, blinkt Alli zwischen Auffallen und Anpassung. Die
Musikerin bewegt sich längst fließend in dieser Dualität und changiert zwischen den Polen – man will ja doch von allen
geliebt werden, oder?! Die Musikerin spielt mit diesem ambivalenten Gedanken, der unlösbar scheint und liefert mit
ihrem Album „ROQUESTAR“ 12 Songs, die von genau diesem dringlichen Hunger nach Anerkennung getrieben sind.
„Sie erzählen von dem Willen, geliebt zu werden.“ Eine Wahrheit und auch psychosoziale Utopie, vielleicht, „in der sich
viele wiederfinden“, meint Alli, und ja doch schambehaftet daherkommt, weil deutlich wird: Wir sind schrecklich
abhängig vom Außen, von dem wir so oft die Schnauze voll haben. Mit „Ich kann gar nichts“ schreibt Alli genau
dagegen an: Eine selbstironische Hommage an die Imperfektion – wider jeder Erwartung. Geliebt werden wollen, trotz
oder gerade wegen ... Rockstar sein, Alli sagt: „everybody’s favorite misfit“. Wie es geht, das mit dem Lieben, das ja
auch immer damit einhergeht, wie es um die Liebe zu sich selbst steht, zeigt sich in der Gleichzeitigkeit ihrer Songs:
Während Alli in „Vom anderen Stern“ zu Funk eine neue Liebe als Eskapismus zeichnet, „Baby lass dich fallen, um
fliegen zu lernen“, erinnert sie in der Grungerock-Ballade „Nie wieder verlieren“ daran, wie giftig es sein kann, sich für
einen Menschen aufzugeben.
Auf „ROQUESTAR“ scheint alles in Bewegung. Es sind Anstöße, die die Musikerin gibt. Manchmal Anklagen,
Aufforderungen, aus denen Sehnsüchte sprechen, nur nie Antworten. Auch weil das nicht zu Alli, der Artist, passen
würde, die sich doch so gerne bewegt, wie die Welt, durch die sie fliegt. Durch Genres und Formate – als Musikerin,
Schauspielerin, auf Bühnen, auch im Fernsehen, eine Künstlerin, die sich erfährt, (er)lebt, ein bunter Hund, Alli liebt,
auch ihre Integrität. Und während die Songs in sich und auch im Miteinander organisch aufgehen, hört man mit etwas
Genauigkeit zwei ungewöhnliche Instrumente spielen. Zwei barocke, die Allis „ROQUESTAR“-Modus musikalisch
markieren. Zusammen mit ihrer Produzentin Novaa lässt sie Cemberlo und Fagott sich an vorherrschende Synthie- und
Kraut-Pop-Sounds schmiegen, während das Fagott von den allermeisten aus der Popmusik verbannt wird. Sich wirklich
zeigen, das kann Alli. „Being loved for not being loved“, beschreibt sie selbst, nur immer als Versuch. Bemerkenswert
ist, dass die Musikerin bei ihrem Tempo und ihren Kurven der vergangenen Jahre nie Splitter ihres Ichs verloren hat.
Während sie also 2025 zwischen den Zeilen über eine „ROQUESTAR“-Identität textet, ist sie es längst: Ein Stern, der
vom Himmel auf den Boden einer steinigen Realität fällt, sich umschaut und unaufhörlich probiert. Im ewigen Gerangel
zwischen laut und leise, Kraut und Folklore, Protest und Rückzug. Zwischen amüsiert und politisch, Großstadt und
Landleben, 80ies und Barock. Alli und ihre Musik strahlen manchmal gleißend hell und manchmal gedimmt hinein in
diese Welt, aber leuchten, das tun sie wirklich immer.
[info sheet from distr.]